20.07.2009 - Burgfestspiele Dreieichenhain Konstantin Wecker & Jo Barnikel

Leben im Leben 

– ein Lied für die Suchenden, die Verrückten, die nicht Fehlerlosen, die Gescheiterten, die Gestrauchelten, die Aufrechten, eben die, die ein bisschen wie der Wecker sind, ist Programmtitel und Opener einer musikalischen Zeitreise in die Wecker-Vergangenheit. Diese Art von Biografie sagt mehr, als zwischen Buchdeckel passt. Im lauschig romantischen Burggarten der Burg Hayn in der Dreieich ist wieder Festspielzeit und Konstantin und Jo fühlen sich dort ausgesprochen wohl. Vor diesem alten Gemäuer haben sie noch nie gespielt, aber ich erinnere mich gut, dass Konstantin früher regelmäßig im Bürgerhaus zu Gast war, bevor es ihn in die Alte Oper gezogen hat. Es ist einer der wenigen schönen Sommerabende bisher, die wir erleben und genießen dürfen.

Es ist fast ein Jahr her, dass ich die beiden das letzte Mal sah. Und eigentlich gibt es wenig Neues so insgesamt, einige selten gehörte und viele viele Lieblingslieder. Doch Konstantin und Jo sind Meister im Erneuern. Leben im Leben denke ich insgeheim weiter mit …. trotzdem, erst Recht oder gerade deshalb! Konstantin schaut in seinen Programmen seit einiger Zeit zurück, steht aber gleichzeitig mit beiden Beinen im Heute. Die Weltpolitik kriegt heute ihr Fett weg wie eh und je. Altersmilde ist er auch bis jetzt nicht geworden. Dabei wollte er doch einst die Welt verbessern. Hat er nicht. Doch der Ist-Zustand bietet ja weiterhin jede Menge Themen. Und die Lieder von vor-vor-gestern haben ja an Gültigkeit nichts verloren. Der alte Kaiser rezitiert ist sehr eindrucksvoll. Und die schlichte Schönheit und Wahrheit von Was keiner wagt braucht ebenso keine Note.

Von Beginn an schafft Konstantin eine angenehme Vertrautheit, ist auf Du und Du, ist herzlich offen und überraschend unkompliziert, als er das Fotografierverbot kurzer Hand aufhebt. Seine Stimme klingt anfangs noch ein bisschen belegt, doch gut schaut er aus, voller Lebensfreude und –lust, vor allem Lust am Musizieren. Kein Wunder mit so einem Kerl wie Jo an seiner Seite, der mit ihm mindestens auf gleicher Höhe ist, ihn begleitet und hält, herausfordert und anspitzt. Auch nach so vielen gemeinsamen Jahren gibt es da keinerlei Abnutzungserscheinung. Nach wie vor ist diese unbändige Lust und die Freude aneinander zu hören und zu sehen. Das warme Wecker-Charisma und der kühle Barnikel-Charme verbinden sich zu einer intensiven Bühnenpräsenz. Das ist wie ein Kraftfeld, das sich immer mehr verdichtet. Da verkommt keine Note zur bloßen Effekthascherei. Programmelement oder nicht, die gespielte Umdeutung von Was ich an dir mag könnte kein Regisseur der Welt mit diesen Blicken und dem spitzbübischen Gesicht ins Drehbuch geschrieben haben. Diese Vertrautheit läuft nie Gefahr in Langweile zu sterben, ganz im Gegenteil, sie ist immer wieder eine Quelle von witzigen, originellen Interpretationen. Da fliegen die Töne und Ideen nur so hin und her, da sagt ein Blick, ein Schmunzeln, eine Geste alles. Jo fängt diese Zeichen auf und wandelt und gibt sie in Musik zurück. Wie war das? Beethoven, Grieg, Pippi Langstrumpf und einiges mehr mit einem Kinderlied durchsetzt…. An der Trompete entfacht sich dieses Seelenfeuer noch eine Spur intensiver. Die Lieder überkommen ihn einfach und sind rückblickend oft schlauer und ehrlicher als er selbst, als er sie schrieb, resümiert Konstantin während eines langen Intros. Manchmal scheint es, als suche er noch das nächste Lied, bis sich in ihm wie zufällig die Melodie formt.

Die Überschwänglichen, die Markigen, die Lauten, die rassigen Lieder kommen immer gut. Sage nein, Wieder im Leben, Gamsig, Stilles Glück, Genug ist nicht genug und und und, davon werde ich auch nie satt. Aber nach wie vor gefällt mir Konstantin am besten in seinen Liebesliedern. Keiner kann Liebe so gefühlvoll doch kitschfrei beschreiben und besingen. Seine Stimme hat diese kraftvolle Zartheit, diese zerbrechliche Stärke, diese Tonlage die Haut streichelnd und das Herz berührend. Musik und Worte von Konstantin an solch einem Abend sind ein Geschenk an die Seele und Jo verdoppelt das Vergnügen zweifellos. Wunderbar getufftete Töne, beherzt und mit Schalk im Nacken oder einfach nur bewegte Luft mit einem Hauch von Klang.

Gut zweieinhalb Stunden lassen sie sich treiben und genießen den Abend sichtlich. Am Ende bedanken sie sich mit dem Lied, das ihnen besonders am Herzen liegt, ein Lied für die besonders raren Momente im Leben, die Momente des Innehaltens und der Stille: Schlendern. Was für ein Moment es hätte sein können, wenn da nicht so ein Spürnix hineingeplökt hätte. Einer dieser raren Augenblicke höchster Intensität. So war es einfach nur schön. Überhaupt hätte ich mir gewünscht, dass das Publikum den Liedern auch mal Zeit zum ausklingen lässt. Nicht der erste Klatscher gewinnt, sondern der, der in der Stille abwarten kann! Genießen war noch nie ein leichtes Spiel! Falls die Ewignörgler der Anwohner ob der späten Stunde Groll hegen, haben Konstantin und Jo sie wenigstens auf höchstem Niveau bedient. Um ca. viertel nach elf verhallt der letzte Ton und ein wunderbarer, beglückender Abend geht zu Ende…

Christel Amberg-Wiegand für www.erlebtemusik.de

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